Was wäre, wenn intelligente Datenbrillen unseren Alltag erobern?

Blogpost, 25.03.2020

In Krisenzeiten ist es üblich, dass viele den Futurologen in sich entdecken und so hört man heute überall mutmaßen: nach der Corona-Krise werden immer mehr Dienstleistungen nur noch online angeboten und das Arbeiten im Home-Office wird normal. Damit einher dürfte dann aber auch gehen, dass das virtuelle Leben mit nach Draußen genommen wird, sobald es wieder ein Draußen und Unterwegssein gibt. In der Folge könnten dann auch wieder die schon totgesagten „intelligenten Brillen“ ein Revival erleben.
 

Bild: Focals by North Press Room

 

Vor diesem Hintergrund stellen wir unsere heutige „What if-Frage“: Was wäre, wenn AppleGlasses, Focals von North, Google Glasses und weitere Datenbrillen doch noch unsere Nasenrücken erobern?

Die sogenannten Datenbrillen sind in der Lage, die virtuelle Realität mit der analogen Realität zu verbinden. Sie sehen inzwischen aus wie normale Brillen, verfügen aber über besondere Fähigkeiten, die wir sonst nur von unseren Smartphones kennen. Die Brillen sind unter anderem mit folgender Technik ausgestattet: Display, GPS, Kamera, Mikrofon, Augensensor, Touchpad, Sprachsteuerung, WLAN, Lautsprechern, USB-Anschluss und vielem mehr. Der Vorteil an den Brillen ist, dass man Informationen schneller wahrnehmen kann ohne sein Smartphone zu benutzen.

Die Datenbrille könnte erst einmal von besonderem Nutzen in der Wirtschaft sein. Zum Beispiel für Lagerarbeiter, die ihre Logistik mit den Brillen steuern und den Zustand ihrer Maschinen kontrollieren können oder auch einfach für haptische Arbeiten die Hände frei haben. Auch die Medizin könnte durch Datenbrillen einen Fortschritt machen, indem man Kranken-Akten und digitale Handbücher ganz einfach während einer Untersuchung abrufen kann. Wie es aber auch schon bei Erfindungen aus der Raumfahrt häufig der Fall war, baut der Mensch diese Vorteile auch gerne in seinen Alltag ein.

Filme wie „In Time“, „Her“ oder „Ironman“ zeigen detailliert, dass diese Augmented-Reality-Technologien (AR) im Verbund mit künstlicher Intelligenz (KI) auch bald im Alltag Teil unserer Gesellschaft sein können. Der Mensch ist stets bemüht, durch neue Technologien sein Leben zu erleichtern. 

Wer bereit ist, ca. 600 Euro für eine solche Datenbrille auszugeben, darf sich über viele praktische Features freuen. Alles was vorher über andere Geräte im Haushalt oder dem Smartphone geregelt wurde, könnte nun ganz einfach mit einer äußerlich handelsüblichen Brille verbunden werden. Der große Vorteil: Ich habe die Hände frei und bekomme Informationen schneller und subtiler vermittelt. Das lästige Handyzücken und paralysierte Glotzen auf die Mattscheibe würde ein Ende haben. 

Für den Alltag bedeutet das, dass ich per Sprachsteuerung noch dichter an meiner persönlichen Assistenz Siri, Alexa oder J.A.R.V.I.S bin. Die künstliche Intelligenz wird also immer genauer auf deine Bedürfnisse abgestimmt und kennt dich bald auswendig. Alle Informationen und sogar persönliche Gespräche sind nur einen verbalen Wunsch entfernt. So können wir zum Beispiel bald Wetter, Nachrichten und Taxibestellungen quasi in real time abfragen und erledigen. 

Inzwischen ist es vollkommen normal, während der U-Bahn YouTube Videos und den TikTok-Feed zu durchforsten und zu merken, wie die Reklame sich in unsere Netzhaut schleicht. Was vorher durch Media gestützt werden musste ist gar nicht mehr notwendig. Alles was ich mir in Gesprächen wünschen oder den Tag über länger betrachte, findet sich komischerweise in meiner Werbung wieder, die ich tagtäglich sehe. Eine bessere Zielgruppen-Aussteuerung kann man sich ja gar nicht wünschen. 

Meine persönliche Assistenz kann inzwischen sogar Humor und Empathie empfinden und wird zu meinem besten Freund, der mit der grenzenlosen digitalen Welt der beste Partner ist, den ich mir vorstellen kann. Mit ihr oder ihm kann ich für Examen lernen und bei einem Prüfer aus dem frühen 21. Jahrhundert vielleicht sogar ein wenig mogeln. Ich muss mir nur die Fragen auf dem Bogen anschauen und bekomme die Antworten direkt auf meine Brille gespielt. 

Und im Straßenverkehr bin ich nicht nur mit meinem, sondern auch mit anderen Autos automatisch verbunden und kann so auf mögliche Gefahren reagieren – wenn ich überhaupt noch selbst fahren möchte.

Aber wären wir wirklich freier und flexibler mit einer solchen Brille? Zunächst müsste sich unser Gehirn auf eine ganz neue Art der Datenverarbeitung einstellen. Die Informationen werden wenige Zentimeter vor den eigenen Augen auf der Brillen-Innenseite abgebildet. Das klingt fürs Erste zwar praktisch, kann aber zu Stress für den Körper führen. Augenschmerzen und Schwindelgefühle wären wahrscheinlich fürs Erste die klassischen Nebenwirkung. 

Dazu kommt, dass man die analoge Realität immer weniger wahrnimmt, da man sich mit einem Auge beziehungsweise mit einer Gehirnhälfte immer in der virtuellen Welt aufhält. Das kann für schlechte Träume und Depressionen sorgen. Wir verwandeln uns durch die Datenbrille noch ein Stück mehr zu einem Cyborg und sind auf der Technologie-Ebene nur noch eine Stufe von der materiellen Fusion zwischen Menschen und Maschinen durch das Einpflanzen von Chips entfernt. (Darüber reden wir dann ein anderes Mal)

Die Frage ist aber auch: Mit allen neuen Technologien, die uns den Alltag erleichtern sollen und möglichst viel Leistungen kombinieren, gewinnen wir grundsätzlich mehr Zeit und damit mehr Freiheit - doch was machen wir mit dieser Zeit? Das Umstellen von Brief- auf Mailverkehr hat uns auch mehr Zeit geschenkt. Doch dadurch, dass Nachrichten schneller ankommen, erwartet man auch, dass die jeweilige Antwort auch schneller zurückkommt. Durch die gewonnene Zeit neigt man gerne dazu, diese Zeit mit mehr Aufgaben zu füllen. Das würde also keine Freiheit, sondern erst einmal weniger Freiheit bedeuten. 

Fassen wir zusammen: Die persönliche Beziehung zwischen den Menschen hätte wahrscheinlich etwas darunter zu leiden, da man sich nie sicher sein kann, ob der hübsche Mann im Café interessiert herüberschaut oder gerade nur einen Kalendereintrag checkt. Wir haben dadurch zwar mehr Barrieren in der echten Gesellschaft aufgebaut, sind aber mit Sicherheit viel freier und flexibler in der grenzenlosen virtuellen Welt unterwegs.

Ob wir dieses Leben wirklich führen werden oder wollen hängt am Ende des Tages aber auch von einer ganz einfachen Frage ab: Gibt es diese Brille nicht auch in einem schöneren Modell?

 

Bildcredit: Focals by North Press Room