Megatrend Algorithmisierung

Blogpost, 27.09.2019

Einer der fünf Megatrends, die uns mindestens die nächsten zehn Jahre beschäftigen werden, ist die immer stärker zunehmende Algorithmisierung. Hierbei muss darauf verwiesen werden, dass Algorithmisierung weit über die bloße Digitalisierung mechanischer oder manueller Vorgänge hinausgeht.

Der Megatrend Algorithmisierung bezeichnet die zunehmende Durchdringung unserer physischen Umgebung mit Computern, die immer kleiner werden und immer stärker vernetzt sind. Ausgestattet mit Sensoren und künstlichen Intelligenzen, erfassen und interpretieren sie, was um sie herum geschieht – so lernt unsere nicht-menschliche Umwelt, auf uns zu reagieren und selbst Entscheidungen zu fällen. Das kann Komfort und Sicherheit bringen, uns aber auch Freiheit nehmen oder sogar überflüssig machen.

Immer mehr Dinge in unserer Umwelt sind also nicht mehr „bloße“ Dinge, sondern zugleich Beobachter und mehr oder weniger intelligente Entscheider. Und sie sind stark vernetzt, was ihnen ermöglicht, miteinander zu kommunizieren und sich gegenseitig zu beeinflussen (hier kommt das Internet of Things / IoT ins Spiel). Die Wirtschaft nutzt dies bereits für sich: In der Industrie 4.0 werden per Computer auf den Kunden zugeschnittene Produkte, auch individuelle Einzelstücke, mit industriellen Fertigungsmethoden hergestellt, beim Cloud Working der Dienstleistungs- und Kreativbranchen arbeiten räumlich weit entfernte Teammitglieder zusammen, indem sie ihr digitales Arbeitsmaterial im Internet speichern und in Echtzeit gemeinschaftlich darauf zugreifen.

          «Es gibt einen Paradigmenwechsel in der IT – und zwar von Systemen, an die wir uns anpassen mussten, hin zu Systemen, die sich an uns anpassen. Wir werden umgeben sein von digitalen Assistenten.»
Dr. Karin Vey, Executive Innovation Consultant, ThinkLab, IBM Research – Zürich

Der Unterschied zwischen Digitalisierung und Algorithmisierung liegt darin, dass sich Systeme zukünftig immer stärker (vermeintlich selbstständig) an die persönlichen Bedürfnisse ihrer Nutzer anpassen. Ein Beispiel aus der heutigen Zeit: Google trackt das Such- und Surfverhalten seiner Nutzer und spielt entsprechend dieser Resultate für ein und denselben Sucheintrag unterschiedliche Ergebnisse aus, je nachdem welche Person die Suche tätigt und wo diese sich befindet.

Die Informationen werden hauptsächlich aber dafür genutzt, dem Nutzer personalisierte Werbung auszuspielen. Dies kann einerseits vorteilhaft sein, Suchergebnisse werden dadurch personalisiert und helfen dem Nutzer, schneller das gesuchte Ergebnis zu finden. Andererseits fühlen sich einige Nutzer hiervon bevormundet oder genervt. Etwa wenn man vor Wochen über das Internet ein neues Bett bestellt hat und immer noch entsprechende Vorschläge angezeigt bekommt.

Nun wird es zukünftig immer mehr Lebensbereiche geben, welche durch Algorithmisierung optimiert werden: Smart Home Systeme können die Stimmung des Bewohners erkennen und entsprechend Musik und Licht anpassen. Der Einkaufsassistent weiß, was Sie heute gegessen haben und bestellt die nötigen Lebensmittel für ein Abendessen. Das Navigationssystem Ihres selbstfahrenden Autos ermittelt die optimale Route zwischen mehreren Wegpunkten.

Das Beispiel Google zeigt Chancen und Risiken der zunehmenden Algorithmisierung. Es geht gerade nicht darum, den Menschen zu entmündigen, sondern darum, sein Leben durch lernende System zu verbessern. Gleichzeitig besteht die Gefahr einer wahrgenommenen oder tatsächlichen Entmündigung des Nutzers.

Für Unternehmen und Marken ist es also nicht damit getan, das ursprüngliche Geschäftsmodell „irgendwie digital“ zu machen. Die Vorteile für den Kunden müssen intuitiv spürbar sein. Gleichzeitig darf sich der Kunde weder bevormundet, noch in seiner Entscheidungsfreiheit eingeschränkt fühlen. Wir befinden uns momentan noch in der Transferphase hin zu immer mehr Algorithmisierung, d.h. die Skepsis vieler Menschen ist diesem Thema gegenüber noch sehr groß. Unsere Studie Values & Visions 2030 zeigt beispielsweise, dass die Menschen die eigene Datensouveränität einer technisch gelösten Personalisierung vorziehen. 

Eine gute Möglichkeit, um die Menschen an neue Produkte oder Services im Zusammenhang mit Algorithmisierung zu gewöhnen könnte nicht die Reduzierung, sondern die Verstärkung persönlicher Erlebnisse Ihres Kunden mit Ihrer Marke sein. Durch eine Vernetzung von Flugdaten, Essensbestellung, vergangenen Erlebnissen könnte eine Fluggesellschaft bereits beim Check-In durch eine deutlich persönlichere Ansprache als bisher den Kunden zu einem positiven Erlebnis mit der Marke verhelfen. 

Zusammenfassend bleibt zu sagen: Algorithmisierung ist mehr als Digitalisierung. Dessen müssen sich Unternehmen und Marken bewusst sein. Gleichzeitig darf das Spannungsfeld zwischen individueller Entlastung der Kunden und der Angst vor Freiheits- und Souveränitätsverlust niemals aus den Augen verloren werden.