Quiet Quitting - Oder warum es out ist, sich für die Arbeit zu überarbeiten

Blogpost, 27.01.2023

Wenn es um Trends im Arbeitsleben geht, kursiert in letzter Zeit ein Begriff häufig in den Medien: „Quiet Quitting“. Insbesondere die Gen Z scheint sich mit diesem Phänomen identifizieren zu können – „Boomer“ haben hingegen oft weniger Verständnis für eine so distanzierte Haltung zu Arbeit und Karriere. Doch auch in die internen Meetings der Arbeitgebenden ist das Konzept mittlerweile durchgedrungen und es macht sich erste Verunsicherung breit. In Zeiten des Fachkräftemangels – auch in den Managementetagen - ist die Bindung der Arbeitnehmenden an ihre Arbeit und das Unternehmen schließlich wichtiger denn je. Doch was genau hat es mit Quiet Quitting auf sich? Was steht hinter dem Konzept und wie können Unternehmen darauf reagieren?

Quid pro quo auf dem Prüfstand 

Wo der Begriff „Quiet Quitting“ tatsächlich das erste Mal verwendet wurde, ist mittlerweile schwer nachzuvollziehen. Seinen Durchbruch hatte die Benennung aber schließlich auf TikTok. Auf der Plattform, die von Unterhaltung bis hin zu Tipps zum Anlegen in Cryptowährungen nahezu alle Themen bedienen kann, teilen viele Nutzer:innen auch ihre Erlebnisse im Arbeitsleben und die Perspektive auf aktuelle Arbeitsbedingungen. Dabei zeichneten sich dann bei vielen ähnliche Erfahrung ab, die unter dem Phänomen (oder Hashtag) Quiet Quitting eingeordnet wurden: Nicht kündigen, aber nur genau die Arbeit erledigen, die vertraglich festgelegt ist. Das bedeutet keine (unnötigen) Überstunden, keine Erreichbarkeit am Wochenende oder im Urlaub, von Arbeit im Urlaub ganz zu schweigen. Die Benennung ist insofern missverständlich: Die Arbeitnehmenden kündigen weder formal, noch ist es eine mentale, innerliche Kündigung. Viele mögen ihre Arbeit und auch das Unternehmen, in dem sie tätig sind. Entscheidend ist jedoch, dass sie ihre Arbeit auf die konkreten Arbeitsaufgaben bzw. -zeiten begrenzen und kein darüber hinausgehendes Zusatzengagement einbringen wollen. In diesem Sinne ist das Konzept also weder neu noch im engeren Sinne arbeitsbezogen problematisierbar. Schließlich wird der grundlegende Anspruch, der zwischen Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden ausgehandelt wurde, weiterhin erfüllt.

Was fehlt also dann konkret und wie macht sich Quiet Quitting insbesondere für die Arbeitgebenden bemerkbar? Die Haltung zur Arbeit lässt sich grob als intaktes, aber nicht besonders gefördertes Arbeitsengagement beschreiben. Dies ist die motivational-emotionalen Einstellung, individuelle mentale oder körperliche Ressourcen dafür einzusetzen, bei der Arbeit gute Leistung zu erbringen. Neben der eigentlichen aufgabenbezogenen Arbeitsleistung gibt es aber noch darüber hinausgehende, freiwillige Leistungen, die Mitarbeitende erbringen. Diese werden auch als „Orginaziational Citizenship Behavior“ (OCB) oder individuelles Verhalten im Arbeitsumfeld zusammengefasst. Gemeint sind damit also Verhaltensweisen, die nicht unmittelbar auf die Arbeitsaufgaben, aber auf die Funktion der Organisation einzahlen – von Hilfeleistungen für Kolleg:innen, Kund:innen oder Vorgesetzte über Beiträge im Vorschlagswesen bis hin zur Teilnahme an gemeinschaftlichen After-Work Aktivitäten. All diese Aspekte sind grundsätzlich freiwillig und fördern dennoch das Zusammenspiel innerhalb des Unternehmens und darüber schließlich die Leistung des ganzen Konzerns. Was bei solchen Beispielen direkt auffällt: auch wenn sie freiwillig sind, gehören sie in der Regel zum guten Ton in Unternehmen. Sie werden implizit erwartet und vorausgesetzt, wirklich auffällig wird es erst dann, wenn man sich als Mitarbeitende nicht in dieser Weise einbringt. Diese attraktiven Effekte des freiwilligen Engagements von Mitarbeitenden sind es also, die Arbeitgebende aufhorchen lassen, wenn von Quiet Quitting die Rede ist.

Bild: Proxyclick on Unsplash

Passe ich zur Arbeit oder die Arbeit zu mir? 

Aus der Perspektive der Arbeitgebenden ist vor diesem Hintergrund also gut nachvollziehbar, weshalb das Thema auf ihrer Agenda auftritt. Doch bevor es um den Umgang mit Quiet Quitting gehen kann, sollte der Fokus nochmals auf die betroffenen Mitarbeitenden und die Frage, weshalb sich dieses Phänomen nun so deutlich verbreitet rücken.

Lange Zeit waren der Beruf und die Arbeit für viele Menschen die zentrale strukturierende und sinnstiftende Stütze im alltäglichen Leben. Diese grundlegenden Funktionen von Arbeit bestehen zweifelsohne weiterhin fort, doch das Arbeitsleben, die Anforderungen und nicht zuletzt auch die Werte und Ziele der Menschen haben sich nicht nur in den letzten 20 Jahren bereits deutlich verändert, sondern werden sich auch in Zukunft noch weiter differenzieren. Wie die GIM foresight Studie „Zukunftsperspektiven 2030“ zeigt, kann die Perspektive auf die Arbeit nicht singulär betrachtet werden. Neben klassischer Karriereorientierung und Pflichtbewusstsein der Arbeit gegenüber, legt ein deutlicher Anteil der Deutschen mittlerweile eine stärkere Priorität auf Selbstverwirklichung und Ausgeglichenheit. Flexibilität rückt in den Fokus, zusammen mit der Frage, wie die Arbeit zu mir statt ich zur Arbeit passe. Zudem nimmt mittlerweile die mentale Gesundheit einen deutlich höheren Stellenwert ein und wird auch in Zukunft insbesondere bei jüngeren Erwachsenen unter 30 ein erstrebenswertes Ziel darstellen, wie die neueste Auflage der Studie „Values & Visions 2030“ zeigt.

In einem Arbeitskontext, in dem hohe Anforderungen, hohe Arbeitslast und Überstunden zum Tagesgeschäft gehören, verwandeln sich Herausforderungen schnell  in Überforderungen. Die psychische und auch physische Gesundheit drohen erheblich und auch längerfristig zu leiden. Viele Arbeitnehmende stellen sich also die Frage: Ist mir die Arbeit meinen Stress wert? Ist diese Arbeit meinen Stress wert? Bei hohem Arbeitsdruck bleibt schier keine Energie und Lust mehr übrig, sich als Mitarbeitende zusätzlich zu engagieren. Viele gerade der jüngeren, neueren Mitarbeitenden sind stark für die Arbeitsbedingungen sensibilisiert und der Ansicht, dass Arbeit nur unter ausgewogenen Bedingungen erfüllt werden sollte - und dann sogar bessere Leistungen erzielt werden können. Sie übernehmen keine Altlasten, sondern setzen aktiv Grenzen und bringen in die Arbeit genau so viel Engagement und Enthusiasmus ein, wie sie nach ihrem Ermessen auch bieten kann. Damit stellet Quiet Quitting einen reaktiven oder auch protektiven Coping-Mechanismus für Stress sowie unzureichend motivierende und erfüllende Arbeitsumfelder dar. Das bedeutet: Während einige Arbeitnehmende im Verlauf ihrer Arbeit im Unternehmen ihr freiwilliges Zusatzengagement als Antwort auf die Arbeitsbedingungen zunehmend reduzieren, können andere bereits bei Eintritt in die Organisation für sich beschlossen haben, dass sie nicht in Vorleistung treten wollen, sondern die Arbeit ihr Motivationspotenzial erst beweisen muss.

Bild: Luis Villasmil on Unsplash

Was der Führungsstil und die Art der Arbeitsaufgaben bewirken können

Wenn also der Stellenwert von Arbeit neu evaluiert wird und die Mitarbeitenden drohen, ihr Engagement und ihre freiwilligen Zusatzleistungen zu reduzieren, was können Unternehmen dann tun, um diese wertvollen Beiträge zu sichern? Anstatt auf „Push“-Faktoren zu setzen, die von Arbeitnehmenden schlicht verlangen, die gewünschten Leistungen zu erbringen, muss der Fokus auf „Pull“-Faktoren gerichtet werden, die Mitarbeitende nachhaltig zu entsprechenden Engagements motivieren. Viele Maßnahmen oder Tipps, wie das Ermutigen der Mitarbeitenden, sich durch ein neues Hobby Ausgleich zu verschaffen oder Arbeit und Privates deutlicher zu trennen, sind nur an den Symptomen orientiert und setzen den Druck für die Situation wieder auf die Arbeitnehmenden selbst. Um längerfristig orientiert an den Ursachen anzusetzen, muss das Arbeitsumfeld so angereichert werden, dass sich sowohl die Bindung an das Unternehmen als auch Arbeitsengagement und schließlich freiwillige zusätzliche Verhaltensweisen organisch entwickeln und verfestigen können. Konkrete Ansatzpunkte hierfür sind neben dem Führungsstil insbesondere die Merkmale der Arbeitsaufgaben.

Eine Führungskraft, die es schafft, die einzelnen Mitarbeitenden individuell zu unterstützen, intellektuelle Anregung bietet, Inspiration und Motivation stimuliert sowie selbst mit einer Vorbildfunktion hinsichtlich der Arbeitshaltung vorangeht, kann Mitarbeitende dabei unterstützen, eine gleichsam involvierte, engagierte, aber auch ausgeglichene Haltung zu ihrer Arbeit zu entwickeln. Der Rückhalt der empathischen und entwicklungsorientierten Führungskraft stellt dann einen Pfeiler an Ressourcen dar, der dazu beitragen kann, dass man sich Herausforderungen aktiv annehmen kann und sie nicht mehr zu Überforderungen werden. In der Arbeitspraxis bedeutet das aber zum Beispiel nicht, dass Arbeitnehmenden durch schieres gutes Zusprechen die Aufgabe, die bei ihnen erheblichen Stress ausgelöst hat, nun einfach bewerkstelligen können. Ein transformationaler Führungsstil bedeutet viel mehr, dass die individuellen Kompetenzen, Ressourcen, Voraussetzungen und auch Zielsetzungen der Mitarbeitenden mit den Anforderungen der Arbeitsaufgabe kombiniert werden - wobei auch die Schlussfolgerung fallen kann, dass es effektiver und sinnvoller ist, die Aufgabe als Team zu bearbeiten, anstatt sie einer Einzelperson zu übergeben.

Was die konkrete Arbeitsaufgabe betrifft, gibt es eine Reihe von Arbeitscharakteristiken, die optimiert werden sollten, um das motivationale Potenzial für Arbeitnehmende zu fördern. Grundsätzlich sollten Aufgaben so gestaltet werden, dass sie abwechslungsreich sind und vielfältige Fähigkeiten abrufen. Dies lässt sich zudem gut mit dem Konzept der Ganzheitlichkeit von Aufgaben kombinieren: Anstatt nur einen Teilausschnitt der Projektarbeit zu vergeben, sollten die Arbeitnehmenden an allen Schritten bis zur Fertigstellung beteiligt sein. Auch hier gilt allerdings eine Betonung auf der Beteiligung, nicht der alleinigen Verantwortung für das gesamte Projekt. Dieser ganzheitliche Ansatz allein kann bereits dazu beitragen, ein tiefergehendes Verständnis und eine Wertschätzung für den Arbeitsablauf zu generieren, entscheidend ist jedoch weiterhin, dass die Arbeit an sich als sinnvoll empfunden wird. Dieser Aspekt ist nicht gleichbedeutend mit solchen hohen, abstrakten Konzepten wie dem Purpose einer Organisation. Viel mehr ist damit gemeint, dass die eigene Arbeit einen Beitrag leistet und Einfluss innerhalb oder auch außerhalb des Arbeitskontexts wirkt. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist Feedback über die bei der Arbeit erzielten Leistung. Auch wenn dies klassisch auf der Seite der Vorgesetzten oder Kund:innen angesiedelt wird, ist es besonders wertvoll, wenn das Erledigen der Aufgabe selbst für die Arbeitnehmenden direkt einen Rückschluss erlaubt, wie gut sie die Aufgabe umsetzen. Schließlich ist es auch entscheidend, den Mitarbeitenden ausreichend Autonomie bei der Aufgabenbearbeitung einzuräumen, also Freiheiten bei der Aufgabenstrukturierung und -umsetzung. Dieser Aspekt zahlt insbesondere auf Flexibilität ein und bietet damit den Arbeitnehmenden nicht nur eine Möglichkeit, die Aufgabe in einem gewissen Rahmen an die eigenen Kompetenzen und Präferenzen anzupassen, sondern das Einräumen dieser Autonomie signalisiert ihnen wiederum Rückhalt und Vertrauen ihrer Vorgesetzten. Werden Arbeitsaufgaben unter Berücksichtigung dieser Kriterien umgestaltet und angereichert, so kann nicht nur die Motivation der Mitarbeitenden, sondern auch ihre Leistung profitieren. 

Bild: Riccardo Annandale on Unsplash

Fazit

Diese Auflistung von Faktoren, was einen fördernden Arbeitsplatz und vor allem motivierende Arbeitsaufgaben ausmacht, kann viele Unternehmen dazu anregen, ihren Status Quo einmal zu evaluieren und sich selbst zu fragen: Wenn ein reines Pflichtbewusstsein wegfällt, loht es sich dann für mich persönlich hier zu arbeiten? Macht es mir Spaß, bringt es mich weiter? Auf diese Weise kann die Diskussion rund um die „Quiet Quitter“ hoffentlich einen Betrag dazu leisten, den Arbeitsplatz für alle aktuellen und auch zukünftigen Arbeitnehmenden gesünder und motivierender zu gestalten.

Mehr erfahren?

Die hier angeführte Werte- und Zukunftsstudie „Values & Visions 2030“ erscheint vollständig im Jahr 2023 und erfährt damit ihr mittlerweile drittes Update. Fünf zentrale Insights, sowie die vollständige Wertelandkarte sind bereits jetzt auf GIM foresight einzusehen.

Hier findet ihr zudem die Deep-Dive Studie „Zukunftsperspektiven 2030“ rund um die Fragmentierung von Bedürfnissen in unterschiedlichen Lebensbereichen.

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