Wie sinnvoll ist Homeoffice?
Blogpost, 03.11.2023
„Wenn einer im Homeoffice arbeiten kann, ist er unwichtig.“ Dieser deutliche Satz stammt von Wolfgang Grupp, einem deutschen Textilunternehmer und derzeitigem Chef der Firma Trigema. Es braucht nicht viel, nur einen kurzen Blick in die IT-Branche, um zu erkennen, dass sich „wichtige“ Arbeit und Homeoffice jedoch keineswegs ausschließen.
Doch auch insgesamt lehnt Grupp neue Arbeitsformen und -zeitkonzepte entschieden ab. Über Work-Life-Balance oder eine mögliche Vier-Tage-Woche werde in seiner Firma nach eigener Aussage in einem Interview mit dem Tagesspiegel nicht diskutiert.
Wolfgang Grupp ist 81 Jahre alt. Er will Ende des Jahres die Leitung des Unternehmens an seine Kinder abgeben und spricht mit solchen Aussagen natürlich weder für alle Unternehmer noch für alle Menschen im Allgemeinen. Aber gerade deshalb stößt er eine Debatte an, in der eine Vielzahl von Fragen geklärt werden müssen, insbesondere zum Thema Homeoffice.
Während sowohl die Idee von zuhause aus zu arbeiten als auch die entsprechende Umsetzung keineswegs neu sind, hat das Konzept des Homeoffice vor allem im Zuge der Corona-Pandemie große Aufmerksamkeit gefunden.
Während laut Statistischem Bundesamt beispielsweise im Jahr 2019 rund 10 Prozent der abhängig Beschäftigten, also nicht selbstständig Arbeitenden, von Zuhause aus gearbeitet haben, waren es drei Jahre später, also im Jahr 2022, bereits knapp ein Viertel.
Betrachtet man im gleichen Jahr die Zahlen der abhängig Beschäftigten, fällt dieser Wert mit knapp über 23 Prozent jedoch etwas geringer aus.
Insgesamt variieren die Werte stark zwischen verschiedenen Branchen. Während beispielsweise bei IT-Dienstleistungen (76 %), Unternehmensverwaltungen oder -beratungen (73 %), sowie Versicherungen (70,4 %) der Großteil der abhängig Beschäftigten von Zuhause aus arbeitet, macht Homeoffice im Bausektor (7,8 %) oder im Gesundheitswesen (6,6 %) nur einen Bruchteil der Beschäftigten aus.
Wenn man bedenkt, dass die gesetzliche Verpflichtung zum Angebot von Homeoffice seit März 2023 nicht mehr gilt, scheint es so, als hätten sich nicht nur Arbeitnehmende, sondern auch Arbeitgebende ein Stück weit mit der Idee des Homeoffice anfreunden können.
Bild: Christian Tarzi on Unsplash
Homeoffice als positive Lektion der Corona-Pandemie?
Eine Umfrage der TU Darmstadt aus dem Jahr 2023 legt nahe, weshalb das so sein könnte. Der Studie zufolge sind Beschäftigte im Homeoffice nicht nur zufriedener, sondern, und das könnte gerade die Unternehmen freuen, auch deutlich produktiver.
Im Vergleich zu 61 Prozent im Büro, haben knapp 76 Prozent der Beschäftigten im Homeoffice das Gefühl, produktiv zu arbeiten. Wenn es um die Zufriedenheit der Mitarbeitenden geht, ist der Kontrast sogar noch deutlicher: 81 Prozent im Homeoffice im Vergleich zu 57 Prozent im Büro.
Die genannten Gründe, weshalb Beschäftigte im Homeoffice arbeiten, sind dabei ebenso vielseitig wie nachvollziehbar. Es ermöglicht ihnen eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben (72 %), spart mühsame Arbeitswege (46 %) und lässt das im Zuge der Pandemie gekaufte Home-Equipment nicht überflüssig erscheinen (43 %). Alles zusammen Vorteile, die besonders die jüngeren und an Selbstoptimierung orientierten Arbeitnehmenden, die besonders an Flexibilität interessiert sind, ansprechen, wie unsere GIM foresight Studie „Zukunftsperspektiven 2030“ aufzeigt.
Als wäre all das nicht genug, erkranken Personen im Homeoffice der Studie nach im Schnitt seltener an einem Burnout. Je mehr Stunden im Homeoffice verbracht werden, desto seltener tritt die Erkrankung auf, während mehr Stunden im Büro entsprechend antiproportional mit einem gesteigerten Burnout-Risiko einhergehen.
Wer das liest, kann eigentlich nur zu dem Fazit kommen, dass das Homeoffice für sämtliche Parteien, ob Arbeiternehmende oder -gebende, mehr als wünschenswert ist.
Doch sowohl in Bezug auf die Produktivität als auch die Zufriedenheit existieren gegenteilige Studien, welche die Dynamik des Homeoffice in Frage stellen.
Also lieber schnell raus aus dem Homeoffice?
Diese Schlussfolgerung ließe zum Beispiel eine Studie aus den USA rund um Atkin et al. (2023) zu. Das Team aus Wissenschaftler:innen stellte unter anderem fest, dass die Produktivität von Arbeitnehmenden, die nach dem Zufallsprinzip im Homeoffice eingesetzt wurden, um 18 Prozent niedriger war als die der Beschäftigten im Büro.
Doch damit nicht genug. Sogar diejenigen, die das Arbeiten im Homeoffice bevorzugen, sind der Studie nach zu Hause deutlich weniger produktiv als im Büro.
Zwei von LinkedIn in Auftrag gegebene Studien von YouGov und Censuswide wiesen auf ein weiteres Problem von Homeoffice hin: Vor allem jüngere Arbeitnehmer:innen befürchten durch die veränderten Kommunikationswege erhebliche Nachteile für die eigene berufliche Entwicklung. Große Zustimmung erhielt beispielsweise der Satz „[w]er mehr vom Büro aus arbeitet, wird eher von Vorgesetzten und Führungskräften bevorzugt“.
Auch eine Studie von Microsoft, in der mehr als 60.000 Microsoft-Mitarbeiter:innen untersucht wurden, zeigt, dass sich die Kommunikation deutlich verschlechtert hat. Zwar wurde im Homeoffice mehr gearbeitet, die interne Kommunikation litt allerdings erheblich.
Die asynchrone E-Mail-Kommunikation nahm zu, während der gleichzeitige Rückgang persönlicher Gespräche zu einer gesteigerten Isolation von Mitarbeitenden, sowie einem geringen Informationsaustausch führte.
Obwohl die Zahl der Beschäftigten im Homeoffice seit Pandemiebeginn konsequent und deutlich über 20 Prozent lag, erscheint es vor diesen Hintergründen kaum verwunderlich, dass nach einer Umfrage durch das Ifo-Institut nur knapp jedes elfte Unternehmen anstrebt, die eigene Bürofläche zu verkleinern.
Viele Stimmen, darunter auch das Handelsblatt, sagen, es sei „Zeit, dass die Mitarbeiter wieder ins Büro kommen“.
Bild: Magnet Me on Unsplash
Die goldene Mitte
Wie die Bandbreite der Ergebnisse zeigt, sind die Studienbefunde offensichtlich recht heterogen. Inwieweit sollte Homeoffice also in unsere Arbeitswelt etabliert werden?
Ausschließlich oder gar nicht im Homeoffice zu arbeiten, scheint daher der falsche Ansatz zu sein. Einige Studien deuten darauf hin, dass ein bis zwei Tage Homeoffice in der Woche ideal für die selbst angegebene Produktivität und individuelle Zufriedenheit der Arbeitnehmer:innen sind. Wie so oft, scheint die Wahrheit auch hier irgendwo zwischen den zwei Extremen zu liegen.
Einen Mittelweg bzw. eine Alternative könnte für einige auf den ersten Blick auch das Konzept der Coworking Spaces darstellen. Dabei handelt es sich um einen Arbeitsort, der sich mit Kolleg:innen, Mitarbeitenden anderer Unternehmen, Freelancern oder auch Selbstständigen geteilt wird.
Wie das Homeoffice bringen jedoch auch Coworking Spaces verschiedene Vor- und Nachteile mit sich.
Es herrscht oft ein kollegiales, "gesundes" Arbeitsklima und die Unternehmen sparen langfristig Geld im Vergleich zu angemieteten Büros. Durch die Heterogenität der Anwesenden eignen sich solche Räume auch für die Vernetzung, und bei der Infrastruktur, ob Drucker, Scanner, Monitore oder Telefonkabinen, müssen Mitarbeitende keine Abstriche befürchten. Wenn der nächste Coworking Space also näher an der eigenen Wohnung liegt, als der eigentliche Arbeitsplatz, könnte es die Bedürfnisse nach Flexibilität, Komfort und sozialem Anschluss miteinander verbinden.
Gleichzeitig gibt es derartige Standorte selbstverständlich nicht überall, sondern primär in der Stadt, und sie eignen sich anders als das traditionelle Büro in der Regel nicht für Geschäftstermine. Die Arbeitsplätze lassen zudem keine individuelle Gestaltung zu, und während der Grad der Ablenkung hoch ist, ist die Privatsphäre deutlich geringer als zuhause oder im Büro. Als längerfristige Alternative zu Homeoffice und Büro scheint das Coworking Space also doch nicht geeignet.
Homeoffice, Büro und Coworking Spaces, wie passt das nun alles zusammen? Schlussendlich ist in vielen Branchen und Berufen ein prinzipielles Angebot, der Arbeit auch außerhalb des Büros nachgehen zu können, sicherlich sinnvoll. Persönliche Präferenzen, sowohl auf Seite der Arbeitgeber- als auch -nehmer, dürften jedoch Detailfragen wie die Anzahl der möglichen Tage pro Woche entscheiden.
New Work
Doch erinnern wir uns an die Position von Wolfgang Grupp zurück. Wenngleich Homeoffice einen zentralen Aspekt der Arbeit von Morgen darstellt, so ist das Arbeiten von Zuhause bei weitem nicht alles.
Wird über die Arbeit der Zukunft gesprochen, so ist es eine Frage der Zeit, bis der Begriff „New Work“ fällt.
New Work wird oft als die Antwort auf die Herausforderungen der heutigen Arbeitswelt gesehen, erfordert aber gleichzeitig einen deutlichen Kulturwandel. Allein dieses Verständnis zeigt, dass New Work zunächst vieles bedeuten kann.
So liefert New Work moderne Antworten auf altbekannte Fragen. Wann, wo, wie oder was sollten wir zukünftig arbeiten? New Work bietet hier neue, innovative Antworten an, ob nun auf das „Wann?“ mit der Vier-Tage-Woche (siehe dazu unseren Blogartikel zur Vier-Tage-Woche) oder das „Wo?“ mit angebotenem Homeoffice.
Es ist spannend, darüber nachzudenken, wie die Arbeitswelt von morgen aussehen wird, und sich zu fragen, ob selbständige Arbeit in Zukunft überhaupt noch notwendig sein wird. Diesem Thema werden wir uns in einem anderen Blogartikel widmen.