Zukunftsvision autofreie Innenstadt: massentauglich oder Nischenthema?

Blogpost, 16.09.2022

Das Konzept der autofreien Innenstadt ist nicht neu. Schon länger wird in vielen Metropolen darüber diskutiert, den PKW-Verkehr im Stadtkern, oder zumindest einem Teil davon, zu begrenzen oder sogar zu verbieten. Zentrales Motiv für eine solche Umgestaltung von Städten ist es, diese wieder für die Menschen lebbarer und attraktiver zu machen sowie die Umwelt zu schützen. Für viele Jahre waren diese beiden Faktoren bei der Stadtplanung deutlich in den Hintergrund gerückt: Innenstädte wurden durch ein möglichst umfangreiches Straßennetz und zahlreiche Parkmöglichkeiten darauf ausgelegt, sowohl von Besucher:innen als auch die Bewohner:innen mit dem Auto erlebt zu werden. 

Bild: Chuttersnap on Unsplash

Ein Ausschluss von Autos aus der Innenstadt stellt ein Schnittstellenthema dar, welches sich auf Wohnen, Arbeiten und Mobilität auswirkt. Insbesondere wegen der Interdependenz dieser drei Bereiche ist davon auszugehen, dass hierbei keine einheitliche Meinung vorherrscht. Beispielsweise ist es naheliegend, dass Innenstadtbewohner das Thema anders betrachten als Landbewohner, Autobesitzer weitaus kritischer sind als Personen, die ohne eigenen PKW auskommen oder auch die Entfernung zum Arbeitsplatz und das dafür präferierte Verkehrsmittel sich auf die Beurteilung auswirken. 

Über solche Faktoren hinaus spielen jedoch auch insbesondere die unterschiedlichen Bedürfnis- und Wertemuster zwischen gesellschaftlichen Gruppen eine Rolle. Daher haben wir uns im Rahmen der Studie „Zukunftsperspektiven 2030“ damit befasst, wie das Konzept der autofreien Innenstadt aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Blickwinkeln aktuell wahrgenommen wird. Wie hoch ist das grundsätzliche Interesse, in der Innenstadt auf das Auto zu verzichten und welche Argumente für bzw. gegen eine autofreie Innenstadt wiegen für die unterschiedlichen Zukunftsperspektiven besonders stark?

Das Auto als geschätzter oder doch eher geduldeter Alltagsbegleiter

Bevor es darum geht, das Auto zumindest teilweise aus der Innenstadt zu verweisen, lohnt sich ein Blick darauf, welchen Stellenwert das private Fahrzeug einnimmt. Die Autobesitzer sind aktuell noch deutlich in der Überzahl. Unter den Befragten der Studie verfügte - repräsentativ für die deutsche Gesellschaft - ca. die Hälfte über ein eigenes Auto, bei rund 1/3 sind es sogar mehr als zwei. Nur etwas weniger als 1/5 besitzt kein Auto, dabei ist der Anteil unter den Großstadtbewohnern mit etwa 30% am höchsten.


Für die Autobesitzer stellt die Flexibilität, zu jeder Zeit direkt zum Ziel zu kommen den ausschlaggebenden Vorteil des privaten Fahrzeugs dar. Selbst bestimmen zu können, wann man startet, welche Strecken man nimmt und ob man vielleicht auch noch einen Abstecher macht, vermittelt vielen ein deutliches Gefühl von Freiheit. Die Aspekte Komfort, Verlässlichkeit und Zeitersparnis sind ebenfalls relevant, haben jedoch vergleichsweise weniger Gewicht.

Hingegen nennen Personen ohne Auto primär die Kosten als Barriere – zusätzlich zur Anschaffung fallen schließlich regelmäßig auch noch Kosten für Benzin, Versicherungen und die Instandhaltung an. Daneben gibt es mit 1/3 jedoch auch einen deutlichen Anteil, der keinen grundsätzlichen Bedarf nach einem Auto als Fortbewegungsmittel hat. Auch die Berücksichtigung der negativen Auswirkungen des Privatverkehrs auf Klima und Umwelt zeichnet sich hier ab. So sprechen für 1/3 der Befragten umweltbezogene Gründe gegen einen eigenen PKW.

Egal ob man also selbst eines besitzt oder sich bewusst dagegen entschieden hat, angesichts der schieren Masse an Autos ist unser aller Alltag von den Feldwegen im Dorf bis hin zum Tumult der Innenstadt von ihnen geprägt. Was für die einen ein Symbol für Freiheit oder das alternativlose Fortbewegungsmittel auf dem Weg zur Arbeit ist, verbinden andere mit zu hohen Kosten für sich selbst oder auch die Umwelt.

Wer sich die autofreie Innenstadt eigentlich wünscht

Ähnlich wie der Besitz eines Autos polarisiert auch der Ausschluss des Privatfahrzeugs aus Innenstadtbereichen die Deutschen: 52% befürworten die autofreie Innenstadt. Damit halten sich die Enthusiasten und die Skeptiker nahezu die Waage. 


Etwas eindeutiger wird es, wenn man nach Autobesitzern und Nicht-Besitzern unterscheidet. Wenig überraschend finden insbesondere Personen, die nicht auf das Auto angewiesen sind – da sie keines besitzen, eine gute ÖPNV-Anbietung genießen oder mit alternativen Verkehrsmitteln wie der Regional- und Fernbahn zur Arbeit fahren - Gefallen an der Idee. Am deutlichsten ist es unter Personen, die sowieso kein Auto besitzen: 75% von ihnen würden die autofreie Innenstadt begrüßen. Sollte es in Zukunft also weniger attraktiv werden, ein eigenes Auto zu besitzen, ist vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse abzuschätzen, dass auch die Bedenken gegenüber einer autofreien Zone in der Innenstadt sinken würden.    

Über dieses basale Merkmal hinaus sind es jedoch vor allem Bedürfnisse und Werte, die Menschen in ihren Einstellungen prägen. So auch bei dem komplexen Thema der autofreien Innenstadt. In der Studie „Zukunftsperspektiven 2030“ beschreiben wir die drei besonders relevanten Blickwinkel der Bewahrer, Weltoptimierer und Selbstoptimierer auf zukünftige Entwicklungen. Sie unterschieden sich merklich bei ihren Vorstellungen rund um Wohnen, Arbeiten und Mobilität – so auch beim Thema autofreie Innenstadt. Den deutlichsten Zuspruch findet die Umstrukturierung unter den an Nachhaltigkeit und Umweltschutz orientierten Weltoptimierern – 77% von ihnen wünschen sich die autofreie Zone. Die traditionellen Bewahrer hingegen sehen das Auto noch deutlicher als Statussymbol und treuen Alltagsbegleiter - erwartungsgemäß befürworten nur 35% von ihnen den teilweisen Ausschluss ihres privaten Fahrzeugs. Flexibilitätsorientierte Selbstoptimierer sind unterschiedlichen Fortbewegungsmitteln gegenüber offen, schätzen aber vor allem praktische Lösungen, sodass auch unter ihnen die Umstellung des Mobilitätsverhaltens in der Innenstadt nur bei 36% Anklang findet. Auch wenn in den letzteren beiden Gruppierungen rein quantitativ vergleichbar geringes Interesse an der autofreien Innenstadt vorherrscht, wird deutlich, dass durchaus unterschiedliche Abwägungen und Interessen dahinterstehen.

Auf dem Prüfstand: Aufenthaltsqualität vs. Fahrkomfort

Die autofreie Innenstadt stellt einen deutlichen Gegenentwurf zu den gewohnten Innenstadtbildern dar. Denn im Stadtkern sind Besucher:innen und Bewohner:innen dann auf alternative Fortbewegungsmittel, wie ÖPNV oder auch das Fahrrad, angewiesen, um von A nach B zu kommen. Natürlich gibt es dabei auch gewisse Ausnahmeregelungen, die von Krankentransporten und Lieferwägen bis hin zu Sondergenehmigungen für Umzüge reichen. Für den klassischen Alltag muss aber in diesem Bereich ohne privaten PKW zurechtgekommen werden. Dieser steht dann außerhalb der beruhigten Zone in dafür angelegten Parkhäusern. Der Randbereich um die Innenstadt wird dadurch zur neuen multimodalen Mobilitätsschnittstelle.

Von einer solchen Umgestaltung der Innenstadt versprechen sich die Befragten der Studie insbesondere eine Verbesserung der Aufenthaltsqualität. Mehr als die Hälfte von ihnen sieht die bessere Luftqualität und die Reduktion von Lärm als deutliche Vorteile an. Zudem ist es attraktiv, die dabei freiwerdenden Flächen (insb. bisherige Parkplätze) als Grünflächen oder in Form weiterer Gastronomie-, Einkaufs- und Freizeitangebote neu zu beleben. Daneben haben auch die positiven Auswirkungen auf die Umwelt eigenes Gewicht: Mehr als die Hälfte sieht die CO2-Reduktion als weiteren Vorteil an. Auswirkungen auf den Straßenverkehr spielen hingegen nur eine begrenzte Rolle, 44% versprechen sich davon eine Reduktion von Staus und 34% eine Erhöhung der Verkehrssicherheit. Wohlmöglich ist dies darauf zurückzuführen, dass sich diese Probleme für einen Großteil der Besucher:innen der Innenstadt lediglich auf den Bereich außerhalb verschieben und nicht wirklich auflösen würden.


Bei der Gewichtung der Vorteile der autofreien Innenstadt zeigen sich wiederum gewisse Unterschiede zwischen den Zukunftsperspektiven. Zwar sind sich alle drei einig, dass die Verbesserung der Luftqualität den deutlichsten Mehrwert bietet, doch während dieses Argument 81% der Weltoptimierer überzeugen kann, sind es nur 55% unter den Bewahrern und 54% unter den Selbstoptimierern. Der deutliche Umweltschutzbezug der Weltoptimierer zeigt sich auch darin, dass 77% von ihnen die Reduzierung des CO2-Ausstoßes als Vorteil betrachten, womit dieser Aspekt für sie auf Rang 2 steht. Bewahrer und Selbstoptimierer priorisieren stattdessen die Reduzierung des Verkehrslärms und die Umnutzung der freiwerdenden Flächen. 

Es gibt jedoch auch deutliche Bedenken gegenüber dem Konzept der autofreien Innenstadt. Mehr als die Hälfte der Befragten befürchtet, dass die Fortbewegung dadurch unnötig kompliziert wird. Schließlich wir es dann für Personen von außerhalb unvermeidbar, am Stadtrand umzusteigen und mehrere Verkehrsmittel zu kombinieren – das bequeme Fahren von Haustür zu Haustür, was viele am Auto so lieben, fällt weg. Auch mit Gepäck oder Einkäufen wird es selbst für die Innenstadtbewohner umständlicher. Zusätzlich entfällt auch noch der Zeitvorteil des Autos, 45% bedauern längere Fahrtzeiten für die gewohnten Strecken. Mit Flexibilität, Komfort und Zeitersparnis fallen also gerade die Aspekte weg, die das Fortbewegen mit dem Auto ausmachen. Die Vorbehalte reichen jedoch noch tiefer und sind durchaus emotional begründet: 50% verbinden die autofreie Innenstadt mit einer Einschränkung der individuellen Freiheit. Dass insbesondere die individuellen Nachteile am meisten wiegen, verdeutlich auch der Aspekt, dass nur etwa 1/3 potenzielle Umsatzeinbußen von Geschäften und ca. ¼ mangelnde Barrierefreiheit als Nachteile bedenken.


Obwohl die drei Zukunftsperspektiven die Nachteile gleich priorisieren, wird deutlich, dass sie ihnen dennoch unterschiedlich viel Bedeutung zuweisen. Am deutlichsten sind die Bedenken gegenüber einer autofreien Innenstadt bei den Selbstoptimierern ausgeprägt. Die kompliziertere Fortbewegung wiegt mit 71% für die Fans von Flexibilität und praktischen, zeitsparenden Lösungen besonders schwer. Auch der Verlust von Freiheit trifft sie mit 65% stärker als die anderen beiden Gruppen. Die Weltoptimierer sind bei den Nachteilen insgesamt weniger kritisch, Einschränkungen individueller Freiheit und längere Fahrtzeiten machen jeweils nur 35% etwas aus. Während sie also deutlich machen, dass sie zum Wohle der Umwelt und Gesundheit im städtischen Raum zu deutlichen Abstrichen beim Fortbewegungskomfort bereit sind, verbinden die Selbstoptimierer die Umgestaltung der Innenstadt mit erheblichen individuellen Einbußen.

Conclusio

Die Meinung der Deutschen zur autofreien Innenstadt ist aktuell noch nicht festgefahren. In Abhängigkeit der Rahmenbedingungen der Umsetzung einer autofreien Innenstadt besteht hier durchaus noch Potenzial, zum gefragten neuen Konzept zu werden. Bei Berücksichtigung der unterschiedlichen Zukunftsperspektiven wird jedoch deutlich, dass noch unterschiedlich viel Bedarf besteht, das neue Konzept von Innenstädten schmackhaft zu machen. Während die umweltbewussten Weltoptimierer kaum äußere Anreizen benötigen, wären für die besonders kritischen Selbstoptimierer umfangreichere Maßnahmen nötig, damit sie über die befürchteten Flexibilitätseinbußen hinwegkommen. Gelingt es, die Vorteile des Autos auf die alternative Fortbewegung in der autofreien Zone zu übertragen, könnten jedoch viele der Kritiker des Konzepts noch zu Befürwortern werden. Sich auf nur eine Maßnahme zu fokussieren wäre angesichts unterschiedlicher Bedürfnismuster in der Gesellschaft zu kurz gedacht. Erst die Kombination von Initiativen lässt eine solche Umgestaltung der Innenstadt, die sich sowohl auf Wohnen, Arbeiten als auch Mobilität auswirkt, ganzheitlich und durchdacht erscheinen.

Bild: Dimitry B on Unsplash

Wie werden Menschen zukünftig wohnen, arbeiten und sich fortbewegen wollen?

Mehr zu den Perspektiven der „Bewahrer“, „Weltoptimierer“ und „Selbstoptimierer“ findet ihr in unserem Short Report „Zukunftsperspektiven 2030“.

Basis für die geschilderten Ergebnisse ist eine für Deutschland repräsentative Befragung mit N=1.520.

 

Bilder: Chuttersnap and Dimitry B on Unsplash